Der Mythos vom Wilden Kaiser
Ein Bergmassiv voll von Geschichte
Der Wilde Kaiser ist ein Mysterium – unzählige Geschichten, Sagen und Mythen ranken sich um das majestätische Gebirge in den Tiroler Alpen. Mit seiner besonderen Form, den schroffen Gebirgszügen und den üppigen Wander- und Klettermöglichkeiten ist das imposante Gebirge im Kufsteinerland beliebt bei Bergsportfans und Naturliebhabern. Um einzutauchen in den Mythos Wilder Kaiser haben wir uns mit Historiker und Bergführeranwärter Gebhard Bendler getroffen.
Kletterer aus Leidenschaft
Direkt am Fuße seines Heimatgebirges treffen wir ihn, den gebürtigen Wörgler, Gebhard Bendler. Er ist mit seiner über 20-jährigen Klettergeschichte quasi „im Fels“ aufgewachsen. „Mit zwölf war ich das erste Mal im Koasa klettern“, erzählt er und mit „Koasa“ meint er den Wilden Kaiser, denn so wird er im Volksmund genannt. Sein Vater war nicht gerade begeistert von seinen Ambitionen, doch die Passion zum Berg hatte ihn am Schopf gepackt und ließ ihn bis heut nicht mehr los. Selbst sein schwerer Kletterunfall im Alter von 17 Jahren konnte ihn nicht dazu bringen, die Hand vom Fels zu lassen. Damals stürzte der junge Bendler zehn Meter in die Tiefe und zog sich einen doppelten Wirbelbruch zu. Die Ärzte meinten, er werde nie wieder Sport betreiben können. „Da musste ich zuerst einmal schwer schlucken“, erinnert sich Gebhard mit einem wehmütigen Blick zum Berg. Doch kurz darauf stellte sich heraus, dass die Verletzungen nur halb so schlimm waren als gedacht. Kaum aus dem Krankenhaus entlassen, hing er schon wieder in den Seilen. Heute spürt er Gott sei Dank nichts mehr von seiner Verletzung, aber das „Koasagebirge“ hat einen bleibenden Eindruck bei ihm hinterlassen.
Der Name ist Programm
Warum er den Namen „Wilder Kaiser“ trägt, das wollen wir von Gebhard wissen. Er erzählt uns, dass bereits um 1240 in einem Text eine Gamsjagd „an dem Chaiser“ erwähnt wurde. Generell gäbe es verschiedene Theorien zur Namensherkunft. „Die plausibelste Geschichte lautet, dass ein Bauernhof dort zum Besitz des Kaisers gehörte und von dem Hof ausgehend dann das ganze Gebiet als Kaiser bezeichnet wurde“, erzählt Gebhard. Offensichtlich ist das pompöse Aussehen des Bergmassivs. Mit seinen markanten Gipfeln und der silbrigen Farbe des Wettersteinkalks gleicht der Berg einer Kaiserkrone. Wenn dann im Winter das Gebirge mit sanftem Weiß bedeckt ist, entsteht durch die Schneedecke das passende Hermelin dazu.
Eine andere Geschichte erzählt, dass Kaiser Karl hoch oben seine letzte Ruhestätte gefunden habe und seither über die Berge und seine Bezwinger wacht. Und dann meint Gebhard: „Seht ihn euch an, mit seinen zerklüfteten Felsen, eingebettet in die hügelige Landschaft sieht er ja auch ziemlich imposant aus. Das „wild“ im Namen kommt allerdings weniger vom Aussehen, sondern mehr von der unkultivierten, ungenutzten Landschaft. Die Felsen waren ja für die Bauern ein wildes Ödland“, fügt Gebhard hinzu.
Die Wiege der österreichisch-bayerischen Kletterszene
Im 19. Jahrhundert begann die touristische Erschließung und seither gingen Alpinismus und Tourismus im Kaisergebirge Hand in Hand. „Da wir uns nahe der bayerischen Grenze befinden, kamen viele deutsche Kletterer nach Tirol. Allen voran der berühmte Kletterrpionier Hans Dülfer“, berichtet Gebhard über die Kletter-Anfänge am Koasa. Hans Dülfer legte 1913 die Erstbesteigung der „Totenkirchl-Westwand“ hin, die als schwierigste Tour galt. „Er soll introvertiert und eigenbrötlerisch gewesen sein, aber am Fels war er unschlagbar“, erzählt uns Gebhard Bendler in Ehrfurcht. Die Erstbesteigung der „Fleischbank-Ostwand“ ist ebenfalls Dülfer zuzuschreiben. „Er entwickelte seine eigene Abseiltechnik und war ein Revoluzzer der Klettergeschichte. Viel zu früh, genauer gesagt mit Anfang Zwanzig, fiel er im 1. Weltkrieg in der Lorettoschlacht“, weiß Bendler.
Ausflug in die Geschichtsbücher
Am Wilden Kaiser wurde Klettergeschichte geschrieben. Nicht nur mutige Bergsteiger setzten mit Erstbegehungen ein Denkmal, auch die Entwicklung von Kletterausrüstung fand hier ihren Ursprung. „Die frühen Bergpioniere haben sich ohne Sicherung an den Felswänden fortbewegt und waren oftmals am Limit unterwegs“, erzählt uns Gebhard Bendler. Nach und nach entwickelten sich weitere Ausrüstungsgegenstände und so kam bei der „Fleischbank-Ostwand“ der 1. Karabiner der Alpen zum Einsatz. „Ein Münchner Tischler hatte den Karabiner bei der Feuerwehr oder bei seiner Arbeit kennengelernt, adaptierte ihn für Kletterer und brachte ihn in die Berge“, so Gebhard. „Darüber hinaus ist um 1943 der 1. Bohrhaken der Ostalpen in der Maukwestwand angebracht worden. Bis dahin waren diese Haken bei der Klettergemeinschaft verpönt, denn sie galten als künstliche Hilfsmittel“, heißt es laut unserem Kletterprofi.
Ein Adrenalinkick zu jeder Jahreszeit
Mit über 40 Gipfeln und Touren in allen Schwierigkeitsgraden kann man das Kaisergebirge als Mekka des Klettersports bezeichnen. Und das zu jeder Jahreszeit.
„Im Frühling, wo noch viel Schnee liegt, klettert man eher auf der Südseite. Zum Beispiel oberhalb der Gruttenhütte oder der Ackerlhütte. Auch die südostseitigen Touren an der Karlspitze über der Gaudeamushütte gehen schon früh im Jahr“, beschreibt uns Gebhard die Gegend, die er wie seine Westentasche kennt. „An heißen Sommertagen ist die nicht sehr schwierige und gut abgesicherte „via classica“ mit ihren schönen Kletterpassagen eine exzellente Wahl. Dementsprechend ist sie aber überlaufen“, warnt Gebhard. „Aber auch an den Nordwänden des Totenkirchls und der Kleinen Halt finden sich unzählige Touren für heiße Tage, die genauso schön, nur weniger frequentiert sind.“ Im Herbst empfiehlt sich das Schneekar bei Scheffau. Hier kann vor dem Winter noch einmal kräftig Sonne getankt werden“, schwärmt der Kletterer.
Die mystische Aura um das Kaisergebirge
Totenkirchl, Fleischbank und Teufelswurzgarten – hinter diesen Gipfel- und Ortsnamen ranken sich unzählige Sagen, die dem Kaiser bis heute das gewisse Etwas verleihen. „Im Teufelswurzgarten soll der Teufel seine Kräuter gezüchtet haben. Ein liebestrunkener Bursche wollte ein Heilmittel für sein krankes Madl holen und musste ihm dafür seine Seele verschreiben“, erzählt uns Gebhard. „Die Fleischbank, so heißt es, wurde nach den vielen toten Gämsen benannt, denen ein Bauer Fallen stellte und sie danach einsammelte“, berichtet er weiter. Vielleicht machen genau diese mysteriösen Erzählungen in Verbindung mit der Klettergeschichte die Faszination um das Kaisergebirge aus. Für Gebhard ist jede Tour am Wilden Kaiser eine Auszeit vom Alltag. Hier findet er immer wieder neue Plätze, die für Nervenkitzel und Glücksgefühle sorgen.
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