Zähne zusammen beißen in der Kältekammer
Mit Kältetherapie gegen chronische Schmerzen
Im Vivea Gesundheitshotel im Kurort Bad Häring weht ein eisiger Wind. Warm anziehen? Fehlanzeige. Die Rede ist von der Kältekammer des Hotels. Dort findet die sogenannte Ganzkörperkältetherapie statt – in Badebekleidung. Wie kalt es dort ist, bei welchen Beschwerden die Kältetherapie hilft und wie diese abläuft, erzählt uns Hannes Stecher, der Therapieleiter des Vivea Gesundheitshotels. Wie viel Überwindung es kostet, sich leicht bekleidet in die Kammer zu begeben und wie es sich anfühlt werde ich im Selbsttest erfahren.
Lieber Herr Stecher, jetzt bin ich doch etwas nervös – daher meine erste Frage: Welche Temperatur erwartet mich nachher in der Kältekammer?
„In der Kältekammer selbst herrscht eine Temperatur zwischen -110 °C und -116 °C. Außerdem gibt es noch zwei Vorräume: Der erste wird auf -10 °C, der zweite auf -60 °C heruntergekühlt.“
Wie fühlt sich das an, was berichten Ihre Patienten?
„Insgesamt ist das Feedback positiv. Die Kälte wird schon als herausfordernd wahrgenommen, einige Patienten fühlen sich kurzatmig – aber im Nachhinein überwiegen euphorische Gefühle: Ich bin mir nicht sicher ob es daran liegt, dass die Kälte so toll ist, oder dass man wieder ins Warme darf.“ Herr Stecher lacht. „Aber es werden tatsächlich auch Endorphine ausgeschüttet und die Patienten sind zurecht stolz durchgehalten zu haben. Gerade Personen mit chronischen Schmerzen fühlen sich direkt besser!“
Für wie lange muss ich in der Kältekammer die Zähne zusammenbeißen?
„Normalerweise drei Minuten, das ist die optimale Therapiezeit, die durch Dr. Papenfuß getestet wurde. Er brachte die Ganzkörperkältetherapie übrigens nach Deutschland. Länger in der Kältekammer zu bleiben macht keinen Sinn, da dann die Gefahr von Erfrierungen besteht. Zum Reinschnuppern reicht eine Minute.“
Na gut, jetzt bin ich schon etwas beruhigter und wir können uns den Fakten widmen. Woher kommt diese Therapieform eigentlich?
„Die Ganzkörperkältetherapie wie wir sie kennen, wurde in den 80 er Jahren in Japan entwickelt. Bereits Hippokrates erwähnte Kälte als Therapieform – bekannter sind wohl die kalten Vollbäder nach Sebastian Kneipp. Nach Deutschland und somit nach Europa brachte die Ganzkörperkältetherapie Dr. Papenfuß. Mittlerweile nutzen zahlreiche renommierte Fußballmannschaften diese Therapie zu regenerativen Zwecken.“
Bei welchen Beschwerden hilft die Kältekammer und welche Vorgänge werden bei den verschiedenen Krankheitsbildern durch die Kälte im Körper ausgelöst?
„Es handelt sich um eine immunmodulatorische, systemische (im gesamten Körper wirkende), physikalische Kurzzeittherapie. Die Therapie kann allgemein bei chronischen Schmerzen eingesetzt werden: Sie wirkt an den freien Nervenendigungen in der Haut. Da die Temperaturfasern schneller leiten als die Schmerzfasern wird der Schmerz sozusagen überlistet. Bei entzündlichen Gelenkserkrankungen wie Rheuma und bei degenerativen Gelenkserkrankungen wie Arthrose, die auch zu chronischen Schmerzen führen, schafft die Ganzkörperkältetherapie ebenso Abhilfe. Durch die Wirkung auf das Immunsystem können Entzündungen zurück gehen. Auch bei entzündlichen Hautkrankheiten wie Neurodermitis und Schuppenflechte gibt es positive Erfahrungsberichte. Wir setzen die Ganzkörperkältetherapie sogar bei Winterdepressionen ein! Insgesamt berichten Patienten häufig von nachlassenden Schmerzen, selteneren Krankheitsschüben und weniger Medikamentenbedarf.“
Muss ich mit negativen Nebenwirkungen rechnen und welche Ausschlusskriterien gibt es?
„Sehr selten entsteht Platzangst oder das Gefühl von Atemnot. Manchen Patienten ist es auch einfach zu kalt. Ausschlusskriterien sind Bluthochdruck und ein instabiles Herzkreislaufsystem. Deswegen benötigen wir auch ein aktuelles EKG.“
Wie läuft die Ganzkörperkältetherapie im Rahmen eines Aufenthaltes im Vivea Gesundheitshotel ab?
„Im Hotel kann man ein spezielles Kältepaket buchen – dieses wird 2019 übrigens in überarbeiteter Form angeboten. Aktuell umfasst es unter anderem zehn Ganzkörperkältetherapien. Die Ganzkörpertherapien kann man auch einzeln, im 10er oder 20er Paket kaufen – und das auch als Nicht-Hotelgast!
So oder so wird ein gültiges EKG benötigt. Bevor die eigentliche Therapie durchgeführt wird, muss jeder Patient in die Kältekammer schnuppern: Statt drei Minuten verweilt sie oder er eine Minute in der Kältekammer, entweder gemeinsam mit dem Therapeuten oder einem erfahrenen Patienten. Allgemein läuft die Ganzkörperkältetherapie so ab: Mit Badebekleidung, Mütze, Mundschutz, Handschuhen und festem Schuhwerk geht es durch die beiden Vorräume mit -15 °C und – 60 °C. Das dient zum einen der Gewöhnung und zum anderen nimmt man so weniger Feuchtigkeit mit in die Hauptkammer. Eine trockene Luft ist wichtig, um die Kälte aushalten zu können. In der Hauptkammer selbst verweilt man dann drei Minuten, während man sich langsam durch den Raum bewegt und gegebenenfalls schmerzende Körperteile mobilisiert. Durch ein Fenster besteht die ganze Zeit Blickkontakt zum Therapeuten. Wenn die drei Minuten abgelaufen sind, geht man durch die Vorräume zurück ins Warme. Optimal ist es, wenn die Ganzkörperkältetherapie zweimal täglich über mehrere Tage hinweg durchgeführt wird. Die Verbesserungen des Krankheitsbildes können bis zu einem Jahr anhalten.“
Damit ich mir selbst ein Bild machen kann, geht es im Anschluss an das Interview zum Schnuppern in die Kältekammer. Herr Stecher erklärt mir noch einmal die Funktionsweise der Kammer und bevor ich das Ganze noch mal überdenken kann, finde ich mich im ersten Vorraum wieder. -15 °C, das kennt man ja bereits von kalten Wintertagen, also weiter in den zweiten Vorraum. -60 °C fühlen sich dann doch schon etwas frischer an und bevor ich mich daran gewöhnen kann, öffnet sich die Tür in die eigentliche Kältekammer. Etwas mulmig ist mir schon, doch zunächst stelle ich gar keinen großen Unterschied fest. Im Kreis gehend verwickelt Herr Stecher mich in ein Gespräch – klar, so geht die Zeit schneller vorbei. Doch eine Minute kann ganz schön lang sein: Langsam schleicht die Kälte in den Körper, das Atmen fällt schwerer, ich konzentriere mich darauf ruhig zu atmen. Eiseskälte trifft es mittlerweile ziemlich gut. Die Unterarme beginnen etwas zu schmerzen. Noch zehn Sekunden durchhalten. Ich bin erleichtert, als Herr Stecher die Tür zu den Vorkammern öffnet, -15° C fühlen sich plötzlich ziemlich angenehm an. Als ich den Vorraum verlasse durchströmt mich sofort eine angenehme Wärme.
Zusammengefasst kostet es schon etwas Überwindung und Durchhaltevermögen – aber es fühlt sich gut an, wenn man die Kälte wieder verlässt: Im Nachhinein alles halb so wild.
Ich kann mir gut vorstellen, dass die extreme Kälte Menschen mit chronischen Schmerzen Erleichterung verschafft.
*Alle Bilder der Kältekammer sind Musterbeispiele
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