Kultur in Zeiten von COVID
Warum es um mehr geht als nur bloße Unterhaltung
Dieses Jahr, 2020, das Jahr in dem wir alle ‚Zu Hause blieben‘ hat uns so einiges klar gemacht. Wie sehr wir echte Erlebnisse in einer digitalisierten Welt brauchen. Wie unzureichend Zoom, Houseparty, MS Teams et al für tatsächlichen Austausch unter Menschen sind. Wie sehr unser Befinden von Berührung und Beziehungen mit einer Vielzahl von Menschen abhängt. Und auch dass Kultur viel mehr ist als bloße Unterhaltung. Ein Live-Event ist ein zwischenmenschliches Happening. Wir kommen zusammen, reden, schütteln uns die Hände, freuen uns gemeinsam auf das, was da kommen mag.
Kultur als sozialer 'Kleber'
So vielschichtig wie die Kultur selbst, so vielschichtig ist auch ihre Bedeutung für eine Gesellschaft. Wir reden über das Gesehene, verbinden uns dadurch und erschaffen gemeinsam Welten. Kultur ist der Kleber, der uns zusammenhält und ganze Generationen prägt. Qualtinger und Mundl prägten die Nachkriegsgeneration. Falco, AM DAM DES oder MA2412, sagt oft nur den Kindern aus den 80ern etwas. Während die Generation Z Harry Styles auf sozialen Medien folgt und online anderen beim Online-Gaming zusieht. Jene, die außerhalb des Zeitfensters oder der Region aufgewachsen sind, schütteln verständnislos den Kopf.
Dann gibt es wieder Einflüsse, (europäisch) universell und unvergänglich. Mozart, Picasso oder die olympischen Spiele prägten ganze Epochen und sie kennt noch heute ‚jedes Kind‘. Expats, also jene die im Ausland leben, umgeben sich oft mit Menschen aus einem ähnlichen Kulturkreis. Wir suchen das Verbindende eines gemeinsamen sozialen Hintergrunds und das Verstehen ohne Erklärungsbedarf. Kultur schafft ein komplexes und gleichzeitig einfaches Miteinander von Menschen.
So fühlen wir in der Zeit, in der Veranstaltungen uns nicht zusammenbringen, ein Fehlen einer gewissen Interkonnektivität. Auf Netflix sieht jeder etwas anderes. Im Theater bekommen wir alle dasselbe Spiel dargeboten, das uns dann zu unseren individuellen Interpretationen und Assoziationen einlädt. Aus diesen und noch vielen mehr Gründen lechzen wir nach Kultur.
Endlich wieder ... Live Kultur im Kufsteinerland
So pilgerte ich, sobald sich die Gelegenheit bot – nämlich am 3. Oktober – zu den Tiroler Festspielen. Kurzfristig hatte ich noch eine Karte ergattern können, denn das limitierte Kartenkontingent war schnell weg. Zwei Stunden vor Beginn des Konzerts erhielt ich eine Nachricht „Babs, es gab Absagen. Willst du kurzfristig doch kommen?“. Ich war noch in der Stadt im Supermarkt. Schnell packte ich meine eingekaufte Ware zusammen, lief nach Hause und machte mich bereit. Make Up und dann die Frage „Was soll ich nur anziehen?“. Kleid? Nein. Schwarzer Rock? Auch nicht. In meiner spontanen Unsicherheit griff ich zum Hosenanzug. Der passt immer. Auch das gehört zum Kulturgenuss dazu: sich mal wieder schick anziehen! Raus aus der Homeoffice Kluft. Kultur ist Besonders und so will man sich auch fühlen.
Schnell ab nach Erl und gerade noch rechtzeitig kam ich an. Als ich von der Parkgarage zum Konzerthaus spazierte, erstreckte sich zwischen Passionsspielhaus und Festspielhaus bis hinüber zum Inn und Oberaudorf ein Regenbogen. Sogar die Natur freut sich, wenn wieder musiziert wird, denke ich mir insgeheim (Obwohl es natürlich ein physikalisches Phänomen ohne Zusammenhang zum Konzert ist.). Dann im Foyer treffe ich ein paar bekannte Gesichter. Mit Maske schwer zu erkennen, aber nach dreimal Hinsehen streift einen doch die Erkenntnis. Die Glocke läutet und es geht zu den Plätzen.
Sicherer Kulturgenuss
Die Organisation des Einlasses funktioniert einwandfrei. Ich fühle mich durchaus sicher. Die Abstände werden eingehalten und im Saal wurde im Varieté- Stil immer ein Sessel zu einem Tisch verbaut und mit einer Lampe versehen. Klassisch und simpel. Nun heißt es einfach nur lauschen. Das Orchester stimmt sich auf das 5. Violinkonzert von Mozart und die Figaro Ouvertüre ein. Der Solo-Geiger Tobias Feldmann gibt die beiden Stücke. Dirigiert wird das Ganze von Thomas Guggeis, einem jungen Mitglied seiner Profession, das als Geheimtipp gehandelt wird. Nach Mozart verabschiedet sich Feldmann und es geht weiter mit der dynamisch beschwingten 7. Symphonie Ludwig van Beethovens.
Ich schaue, höre und staune. Großes Orchester und großes Kulturerlebnis. Ich verschwinde in der Musik und kann, nach so langem Entzug, nicht genug kriegen. Am Ende tosender Applaus. Endlich wieder Live-Musik. Ganz etwas anderes als Radio, CD, Spotify und mit was auch immer wir uns sonst in Zeiten von Veranstaltungs- und Kontaktverboten behelfen mögen. Live schwingt das Innerste mit.
Beim Nachhause fahren, es ist zwar schon spät, entschließe ich mich kurzerhand zu einem Einkehrschwung in Ebbs in Unterwirt. Ein kleiner Spritzer und ein Pläuschchen mit den Unterwirtinnen. Auch das gehört dazu – sich nach dem Konzert noch irgendwo (dieser Tage natürlich mit Abstand) noch ein Gläschen zu genehmigen um das Gehörte zu verdauen.
Nun befindet sich Österreich im 2. Lockdown und Veranstaltungen und Zusammenkünfte jeglicher Art sind nicht möglich. Um so mehr bin ich dankbar und froh, diese Gelegenheit des Besuchs einer Top-Veranstaltung genutzt zu haben. Noch heute zehre ich davon und noch heute – wie es dieser Blog beweist – möchte ich das Erlebnis mit-teilen. Die Winterfestspiele in Erl mussten leider abgesagt werden, aber umso mehr hoffen wir auf 2021. Ein neues Kulturjahr in dem es hoffentlich wieder normaler zugehen wird. Circustage Kufstein, glück.tage, yoga.tage, Festungskonzerte und so weiter. Wer mehr wissen will, kann sich im Veranstaltungskalender schlau machen.
Frohes Neues Jahr! Auf das uns die Kultur im Kufsteinerland 2021 wieder verbindet.
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