Das älteste Wahrzeichen von Erl
Vom Kellergewölbe zum architektonischen Meisterwerk
Kleiner Ort - große kulturelle Bedeutung. Früher heiß umkämpft, heute heiß begehrt. Im nördlichsten Teil des Inntales trifft Natur auf Kultur, und das nicht erst seit Jahrzehnten, sondern seit Jahrhunderten.
Wer sich Erl vom südlichen Ortseingang her nähert, sieht nach dem Gasthof Blaue Quelle plötzlich zwei imposante Bauwerke in schwarz und weiß auftauchen. Die Architektur der beiden Häuser ist in respektierender Weise ebenso aufeinander abgestimmt wie es die bespielten Tage sind. Durch den dunklen Hintergrund der Bäume im Sommer rückt die weiße Fassade des Passionsspielhauses in den Blickpunkt des Betrachters. Im Winter ist es umgekehrt. Es tritt dann die dunkle Fassade des Festspielhauses aus der verschneiten Landschaft mystisch hervor.
Wie kommt es also, dass es in diesem Ort mit knapp 1500 Einwohnern zwei so imposante Spielstätten gibt?
Mysterien- oder Osterspiele haben eine lange Tradition und reichen bis ins Mittelalter zurück. Um Krankheiten oder Kriege abzuwehren, ging die Bevölkerung Gelübde ein und versprach, die Leidensgeschichte Jesu nachzuspielen, damit das Unheil aufhöre. Und so war es auch in Erl. Als Grenzort war Erl oft großen Gefahren ausgesetzt, vor allem wenn die Habsburger mit den bayrischen Wittelsbachern Kriege führten. Das hatte nicht nur zur Folge, dass Erl mehrmals komplett niederbrannte, sondern dass damit auch viele wichtige Dokumente vernichtet wurden.
Die ersten nachweislichen Osterspiele fanden schon Mitte des 16 Jh. in einem Spieltennen, der „Comedihittn“ im Ortsteil Scheiben statt. Das Kellergewölbe ist heute noch vorhanden. Da Erl bis zum Brand der Kirche 1703 ein wichtiger Wallfahrtsort war, kamen die Pilger nicht nur zur Kirche, sondern auch zu den Passionsspielen. Gespielt haben hauptsächlich fromme Bauern und Handwerker, insbesondere Nagelschmiede. So gab es Anfang des 18 Jh. 47 Betriebe, davon 19 Nagelschmiede und 8 Schmiede. Die Schmieder waren begabte Theaterspieler und Musiker. Sie kamen aus Tirol und Bayern, um Arbeit zu finden und haben durch ihr Mitwirken die Erler Passionsspiele nachhaltig geprägt. Einer der bekanntesten Nagelschmiedmeister war Jakob Mühlbacher, langjähriger „Theaterdirektor“ der Erler Passionsspiele Mitte des 19. Jahrhunderts. Das Schmiedehandwerk fand jedoch mit zunehmender Industrialisierung (Waffen) und der Regulierung des Inns (Schmiede arbeiteten viel für die Schifffahrt) ab Mitte des 19 Jh. ein jähes Ende. Doch gibt es in Erl heute noch einen Schmied und zwar in der mittlerweile 8. Generation!
Schmunzeln musste ich über einen Vergleich der Erler mit den Thierseer Passionsspielen: Man sprach von den Erler Teufeln und den Thierseer Engeln. Wie das?
Im 17 und 18 Jh. spielte der Teufel in den meisten Volksschauspielen eine zentrale Rolle. In Dekoration und Kleidung waren die Erler dermaßen erfinderisch, dass die Behörde ein Auftreten untersagte, um Kinder und schwangere Frauen vor den Folgen des Anblickes zu schützen.
Gespielt wurde in vielen verschiedenen Häusern: Zuerst in der bereits erwähnten „Comedihittn“, dann in diversen Häusern nahe der Blauen Quelle, am Dachboden des Postwirts oder in einem „Amphitheater“ neben dem Trockenbach am Mühlgraben, wo sich heute das Parkhaus der Tiroler Festspiele Erl befindet. Unweit davon erhebt sich das imposante 36 Meter hohe weiße Gebäude, das von 1956 -1959 mit einer Fassungskapazität von 1500 Besuchern errichtet wurde. Ein Zubau für Büro und Foyerräume folgte 1996.
In Abständen von sechs Jahren finden die nächsten Passionsspiele 2019 statt. Mit 600 mitwirkenden Erlern wird die Passion lebendig und zeitgemäß bis zum heutigen Tage erhalten.
Ich hoffe, ich konnte euch mit diesem geschichtlichen Rückblick die Ursprünge der Erler Passion näherbringen und euch auf die kommende einstimmen!
Besonderer Dank gilt dem Dorfchronisten Peter Kitzbichler, der das Erler Kulturleben seit Jahrzehnten akribisch dokumentiert und uns auch Bilder für diesen Blog zur Verfügung gestellt hat.
1 Kommentar(e)
Claudia Dresch
27.03.2017 - 20:01 Uhr
Danke Rosmarie, dass Du ein Auge auf unser Passionsspielhaus Erl geworfen hast. Ein Juwel - dank dem Mut und der Erler in der früheren Generation, diese Architektur umzusetzen.